Erinnerungen an meine Kindheit in der Schule und Freizeit
Ein Jahr nach dem sehr schlimmen Oderhochwasser mit Bruch der Deiche im Frühjahr 1947, das sehr vielen Leuten - nicht nur aus Oderberg - drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch das Letzte nahm, folgte mein Einschulungsjahr.
Einschulung und Schulzeit
Es war für mich ein ganz besonderes Kalenderjahr, denn am 1. September 1948 erfolgte endlich die lang ersehnte Aufnahme in die Schule. Das war natürlich wie für alle Kinder auch für mich ein aufregendes und sehr spannendes Erlebnis. Gehörten wir doch nun endlich zu den größeren Kindern, die zur Schule gehen durften. Es war ein sehr starker Jahrgang, denn es wurden drei Klassen von 1a bis 1c eingeschult. Die meisten Kinder waren in selbst geschneiderter Garderobe erschienen und die Schultüten waren auch der Zeit entsprechend mäßig mit allerlei dringend benötigten Sachen gefüllt.
Ich kam in die Klasse 1a. Unsere Klassenlehrerin war Frau Sieg bei der das Lernen sehr viel Freude bereitete. Frau Sieg war eine von den Neulehrern, die nach der Entnazifizierung in den Schuldienst berufen wurden. In der 1. Klasse haben wir das Schreiben mit dem Griffel auf der Schiefertafel gelernt. Das war eine sehr praktische Handhabung. Wurde mal etwas falsch geschrieben, konnte man den Fehler mit dem nassen Schwamm wieder auslöschen und danach neu schreiben. Das Schwammanfeuchten haben wir meistens zu Hause vergessen und erledigten es am Brunnen vor dem Rathaus noch schnell vor dem Unterricht. Ab der 2. Klasse schrieben wir dann in Schreibhefte mit dem Federhalter und einer sehr spitzen Stahlschreibfeder, die immer in das Tintenfass eingetaucht werden musste. Es war eine fürchterliche Kratzerei verbunden mit vielen Tintenklecksen und viel Arbeit mit den Tintenlöschblättern.
Die Erziehung war damals noch sehr autoritär geprägt und wer nicht hören wollte musste es manchmal auch schmerzlich spüren. Bis zur 4. Klasse wurde die Christenlehre in den Klassenräumen der Schule durchgeführt, bis eine Lösung im Kirchen- Gemeindehaus geschaffen wurde, um die von der DDR Regierung gewollte Trennung von Kirche und Staat zu vollziehen.
Das Schulgebäude und die Klassenräume befanden sich in einem Zustand wie ihn meine Eltern und Großeltern schon kennen gelernt hatten. Die Klassenräume hatten schwarze geölte Fußbodendielen und die Schulbänke bestanden aus grobem Holz und waren als Dreisitzerbänke gebaut. In jedem Klassenraum befand sich ein großer Kachelofen der im Winter so lange geheizt wurde bis die zugeteilten Kohlen alle waren. In sehr strengen Wintermonaten wurde nur die halbe Schule beheizt. Dann haben einige Klassen am Nachmittag Schulunterricht gehabt. Der Schulhof war ein Sandplatz und längst nicht so schön gestaltet wie heute. In den großen Pausen haben die Schüler klassenweise einen Rundgang unter Aufsicht eines Lehrers machen müssen und dabei wurde das Pausenbrot gegessen. Beim Läuten der Glocke am Schuleingang durften dann die Klassenräume wieder betreten werden.
Ab der 5. Klasse wurden der Werkunterricht und die Arbeit im Schulgarten eingeführt. Hier haben wir als Schulkinder schon so manchen handwerklichen oder gärtnerischen Trick für das spätere Leben von Herrn Schütz gelehrt bekommen. Die Werkräume und der Schulgarten befanden sich hinter dem Bühnenanbau des Saales der Grünen Aue. Im Saal der Grünen Aue fand auch der Sportunterricht statt, wenn das Wetter für den Sportplatz nicht geeignet war. Wir waren also auch viel unterwegs um unseren Unterricht zu absolvieren.
Sehr oft fand in den Sommermonaten der Biologie- und Zeichenunterricht in der freien Natur statt, um Tier- und Pflanzenwelt und die Landschaft zu studieren. Auch Besichtigungen bei Seilermeister Dossmann oder im Sägewerk in der Eberswalder Chaussee oder anderen Betrieben haben sehr positive Erinnerungen wach gehalten.
Ein sehr großer Erfolg für die Schulleitung und Stadtverwaltung war die Organisierung der Schulspeisung im Jahr 1952. Im Nebengebäude der Stadtverwaltung wurden eine Schulküche und ein Speisesaal eingerichtet. Hier verstanden es sehr rührige Küchenfrauen uns jeden Tag eine warme und schmackhafte Mahlzeit zu kochen. Uns Kindern hat es sehr gefallen.
Insgesamt war es doch trotz aller materiellen und finanziellen Probleme eine schöne und unkomplizierte Schulzeit, mit sehr guten Kameradschaften unter den Schülern. Froh war am Schuljahresende jeder Schüler, wenn das Klassenziel erreicht wurde. Auch ich war kein Genie, aber habe meine Versetzung in die nächste Klasse immer geschafft, auch wenn der schulische Fleiß nicht immer so ausgeprägt war wie ihn sich Lehrer und Eltern gewünscht hätten. Die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule war damals noch nicht so hervorragend ausgeprägt wie jetzt und die Verbindung wurde nur in besonders kritischen Angelegenheiten per Brief vom Lehrer zum Elternhaus hergestellt.
Hohe Anerkennung kann ich all meinen Lehrern aussprechen, die unter den damaligen komplizierten Bedingungen so viel für uns geleistet haben. Wir haben alle unseren Schulabschluss geschafft und dafür gebührt allen Beteiligten ein herzlicher Dank.
Nach Abschluss der 8. Klasse im Jahre 1956 begann das große Auseinanderlaufen bedingt durch Lehrstellenwahl in anderen Orten oder durch den Besuch der Oberschule durch einige wenige Mitschüler, deren Eltern es sich schon damals leisten konnten, ihren Kindern eine höhere Schulbildung zu finanzieren. Ein besonderes Ereignis war deshalb unser 1. Klassentreffen am 27.Mai 1995 in der Gaststätte „Grüne Aue“. Nach 39 Jahren haben es einige von den Mitschülern geschafft fast alle zu einem gemütlichen Wiedersehen zusammenzuführen. Schön wäre es wenn wir das regelmäßig wiederholen könnten.
An diesen 27. Mai 1995 wurde auch die letzte Fahrt auf der Bahnstrecke zwischen Bad Freienwalde und Angermünde mit einem Sonderzug durchgeführt. Das war für ständig Reisende ohne Auto kein guter Tag. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil der Termin mit unserem Klassentreffen zusammenfiel.
Organisierte Beschäftigung durch die Schule und Freizeitgestaltung nach der Schule und zur Ferienzeit
Das Zusammenleben der Schüler untereinander war ein nettes freundschaftliches Miteinander ohne Neid und Missgunst. Alle hatten die gleichen Probleme mit dem Mangel an Nahrungsmittel, Bekleidung und sonstigen begehrenswerten Artikeln, die sich keiner leisten konnte. Etwas war immer am Ende. Entweder es war das Geld, die Lebensmittelmarken oder die Punktekarten, mit denen man sich Textilien oder Schuhe kaufen konnte.
Die Eltern hatten für die Kinder wenig Zeit weil die Väter von Montag bis Sonnabendmittag in den Betrieben arbeiten mussten und die Mütter den Haushalt überwiegend in Handarbeit erledigen mussten und außerdem durch umfangreiche Gartenarbeit die Familie mit dem Erntegut ernährt haben.
Wir waren als Schulkinder sehr froh darüber, dass an der Schule ein gut organisiertes Freizeitangebot existierte.
In der Arbeitsgemeinschaft „Junge Matrosen“ haben wir in einem Ruderkutter, der von der Schiffswerft Oderberg zur Verfügung gestellt wurde, Segeln und das Rudern gelernt. Ein Schüler war der Steuermann, der das Boot gesteuert hat. Auch das Morsealphabet und das Winken mit Seemannsflaggen gehörten zur Ausbildung. Seemannsknoten gelangen uns immer besser und Seemannsgarn wurde auch manchmal gesponnen. Es hat jedenfalls großen Spaß bereitet.
Eine weitere AG „Elektrik“ fesselte viele Jungen aus mehreren Schulklassen an die Geheimnisse des Fließens elektrischen Stromes durch einen Draht. Zielstellung für diese AG war es im gesamten Schulgebäude eine Lautsprecheranlage zu installieren, damit von der Schulleitung wichtige Durchsagen während des Unterrichts gemacht werden konnten. So wurden aus Sperrholz Lautsprechergehäuse gebaut, die mit Stoff am Lautsprecherausgang bespannt wurden. In der gesamten Schule wurde in jedes Klassenzimmer ein zweiadriges Kabel verlegt und dann der Lautsprecher angeschlossen. Alle Kabel liefen im Büro der Schulleitung zusammen, wo der Verstärker und das Mikrofon waren. Es war für alle Beteiligten ein sehr stolzes Gefühl, als der Schulleiter Herr Badtke die 1. Durchsage gesprochen hat. Es war für unsere Schule eine großartige Errungenschaft, die seinesgleichen suchte. Wir alle haben bei dieser Installation sehr viel gelernt und mancher Kniff hilft mir heute noch bei ähnlichen Arbeiten an elektrischen Anlagen.
Die Chor- und Instrumentalgruppe unter Leitung von Herrn Seidel hat regelmäßig in der Aula die Proben absolviert. Viel Mühe steckte in dieser Arbeit für Herrn Seidel aber auch für alle Mitglieder dieser Chor- und Instrumentalgemeinschaft, die sich aus Schülern verschiedener Altersgruppen zusammensetzte. Bei einem Ausscheid der Schulchöre in der damaligen Bezirksstadt Frankfurt/Oder belegte der Oderberger Schulchor und die Instrumentalgruppe den 1. Platz.
Auch andere musikalische Leistungen haben wir vollbracht. Die Schule Oderberg gründete einen Fanfarenzug. Die Probestunden mit den Instrumenten fanden im Freien auf dem Albrechtsberg statt. Ich kann mich heute noch sehr gut daran erinnern, wie lange es gedauert hat, bis wir Jungen ein paar brauchbare Töne hervorgebrachten. Die armen Oderberger Bürger mussten sich dieses Konzert anhören, denn es schallte vom Berg über die ganze Stadt. Öffentliche Darbietungen gab es dann beim Festumzug der Schule zum 1. Mai. Diese konnte man sich dann aber schon anhören, denn wir hatten ja fleißig geprobt.
In der 5. Klasse wurde durch unseren Klassenlehrer Herrn Zepp eine Theatergruppe gegründet. Einige Märchenstücke nach Vorlagen der Brüder Grimm wurden einstudiert und bei großen Schulveranstaltungen im Saal der Grünen Aue den Eltern vorgespielt. Der Applaus am Ende hat uns sehr gut getan, aber das Eintrittsgeld von 50 Pfennige je Erwachsener war für unsere Klassenkasse eine sehr lohnenswerte Einnahme. Mit dem Erlös haben wir dann Klassenfahrten nach Berlin unternommen und besuchten dort das „Theater der Freundschaft“. Angesehen wurde Erich Kästners „Emil und die Detektive“ oder bei einem weiteren Berlinbesuch „Die Feuerrote Blume“ nach einem alten russischen Volksmärchen. Diese Klassenfahrten wurden immer genutzt, um Sehenswürdigkeiten in Berlin oder Potsdam zu besichtigen. Die damals im Bau befindliche Berliner Stalinallee war natürlich Pflichtprogramm. Ein Zeugnis des Wiederaufbaues nach dem 2. Weltkrieg mit den in aller Munde geführten „Trümmerfrauen“ und die beim Bau eingeführte „Warschauer Methode“, bei der ein Maurer mit einer großen Schaufel den Mauermörtel auftrug und mehrere andere Maurer nur noch die Mauerziegel auflegten. Übernachtet wurde im Kinderhotel Berlin. Es befand sich im stark zerstörten Berliner Nordbahnhof. Geschlafen wurde in einfachen Holzbetten und am Frühstückstisch gab es Marmeladenbrot und einen Topf Malzkaffee. Und eigenartiger Weise: Es hat allen geschmeckt und außerdem Spaß gemacht.
Auch in der näheren Umgebung wurden regelmäßig von der Schule organisierte Klassenausflüge unternommen. Wanderungen zum Parsteinsee mit Übernachtung in der Scheune der Försterei „Breite Fenn“ oder Dampferfahrten mit dem Dampfer „ANNA“ zum Grützpott nach Stolpe oder durch das Schiffshebewerk gehörten zum Freizeitangebot der Schule. In der Ferienzeit wurden die Tage mit Sport und Spiel genutzt. Die beliebtesten Beschäftigungen waren Radfahren, Kahnfahrten, Angeln, Völkerball oder Spiele mit dem Einsatz von persönlichem Taschengeld beim Spiel mit Murmeln oder beim Klimpern mit großen alten Münzen, mit denen man auf den Rand von gültigen Münzen geworfen hat. Hat man es geschafft die Münze dabei umzudrehen, war man der neue Eigentümer. Manchmal war das eigene Geld sehr schnell am Ende. Dann haben wir durch sammeln von Gläsern, Flaschen Altpapier und Schrott unser Taschengeld wieder aufgebessert.
Glück hatten die Schulkameraden, deren Eltern in einem Betrieb arbeiteten, die für die Kinder der Beschäftigten Kinderferienlager eingerichtet und finanziert haben. So konnte ich in das Ferienlager der Schiffswerft nach Wieck am Bodden, Ahlbeck auf Usedom oder nach Lychen mitfahren.
In den Wintermonaten waren Eishockey, Ski und Schlittenfahren und Schlittschuhlaufen zwischen Hohensaatener Schleuse und Schiffshebewerk Niederfinow die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Das war aber nur dann möglich, wenn es sehr strengen Nachtfrost gab und die Eisbrecher es am nächsten Tag nicht mehr geschafft haben eine Fahrrinne frei zu brechen.
Besondere Höhepunkte waren die von der Stadt und von den Einwohnern organisierten Kinderfeste im Bürgergarten bei der Gastwirtsfamilie Beer und auch die Kinderfeste in der Siedlung der ehemaligen Sprengchemie. Die Festwiese war der Platz, auf dem dann die Schiffswerft die ersten Häuser für ihre Beschäftigten bauen ließ. Verantwortliche der Stadt, Eltern und die Anwohner haben sich voll eingesetzt und haben mit selbst gebackenen Kuchen zum großen Gelingen beigetragen. Die Kaffee-Tafel auf der Straße in der Siedlung war ungefähr 50 Meter lang.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
So gut ich konnte habe ich in meinen Erinnerungen herumgestöbert und in diesem Text verarbeitet. Schulfreunde, die sich mal die Zeit nehmen diese Zeilen zu lesen, werden sicherlich auch an viele kleine Begebenheiten erinnert und an die gute alte Schulzeit denken. Natürlich hat jeder andere Begebenheiten die ihm wichtig waren in seinem natürlichen Speicher eingelagert aber es gibt auch sicherlich gemeinsames Erleben. Sollte ich entscheidende Ereignisse vergessen haben, so bin ich für jeden kleinen Hinweis sehr dankbar.
Ich möchte zum Abschluss noch bemerken, dass es mir großen Spaß bereitete meine Kindheit gedanklich aufzuarbeiten, auch wenn es nur ein kleiner Lebensabschnitt war.
Ich grüße alle meine Mitschüler und rufe sie auf, auch ihre Erinnerungen und Erlebnisse in das Forum der Schule Oderberg zu stellen, bzw. privat an den Webmaster dieser Seite zur Veröffentlichung zu senden.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Meiningen/Thüringen im Mai 2007
Dieter Hübner